Wir dürfen keine Corona-Generation zurücklassen

Wir dürfen keine Corona-Generation zurücklassen

Erstellt am: 18.03.2021

Der Metall-Tarifkonflikt ist festgefahren. Ein Streitgespräch zwischen Thomas Hahl, Chef der Mannheimer IG Metall, und Arnd Suck, Geschäftsführer der Südwestmetall-Bezirksgruppe Rhein-Neckar-Odenwald. Von Alexander Jungert und Tatjana JunkerHerr Hahl, in der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg verdienen die Mitarbeiter im Schnitt 65 000 Euro pro Jahr – das ist mehr als in vielen anderen Branchen. Warum reicht Ihnen das trotzdem nicht?

Thomas Hahl: Weil die Mitarbeiter eine Entgelterhöhung verdient haben! Es geht uns aber nicht nur um höhere Löhne, sondern auch um Zukunftsfragen: Die Transformation muss gestaltet werden. Und wir brauchen eine neue Form von Beschäftigungssicherung, denn dieses Jahr laufen die Sonderregelungen zur Kurzarbeit aus. Mit unserer Entgeltforderung meinen wir nicht automatisch, dass alle Beschäftigten vier Prozent mehr bekommen sollen. Krisen-Betriebe können das Geld auch verwenden, um Lohnverluste auszugleichen, wenn sie wegen fehlender Aufträge die Arbeitszeit reduzieren müssen.

Arnd Suck: Mich irritiert, dass die IG Metall meint, sie müsse die Entgelte stabilisieren. Jemand, der 2011 in unserer Branche 3000 Euro monatlich verdient hat, bekommt mittlerweile 4000 Euro – ein Drittel mehr. Die Inflation lag im gleichen Zeitraum nur bei 13 Prozent.

Hahl: Die Erhöhungen sind ja nicht von ungefähr gekommen. In den vergangenen Jahren lag die Umsatzrendite von Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie im Schnitt immer um die fünf Prozent brutto. Nicht nur die Mitarbeiter haben also gutes Geld verdient, es wurden auch gute Gewinne eingefahren. Man sagt immer, die Metaller würden im Vergleich zu Beschäftigten anderer Branchen so gut verdienen. Aber wer glaubt, dass unser Verzicht dazu führt, dass zum Beispiel Pflegekräfte mehr erhalten, der glaubt auch, dass der Osterhase und der Weihnachtsmann etwas miteinander haben. Wenn die Beschäftigten auf eine Erhöhung verzichten, bedeutet das in Wahrheit nur, dass die Aktionäre mehr Geld bekommen.

Suck: Beschäftigte und einige Unternehmen der Branche haben in der Vergangenheit gut verdient, stimmt. Der Durchschnitt lag aber bei den Unternehmen auch da schon nur bei drei Prozent Netto-Umsatzrendite. Und jetzt reden wir über das Jahr 2020 – und das war katastrophal. Durch die Corona-Krise betrug die Umsatzrendite bei 60 Prozent unserer Mitgliedsbetriebe zwei Prozent oder weniger, ein Drittel schrieb Verluste. Und da ruft die Gewerkschaft vier Prozent mehr Gehalt aus! Ich sage Ihnen, Herr Hahl: Wenn wir keine Lösung finden, die Zukunft gemeinsam zu gestalten, gibt es in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg ein echtes Problem.

Hahl: Deshalb haben wir ja im Pandemie-Jahr auf eine Entgelterhöhung verzichtet. Die Beschäftigten waren hochflexibel, Arbeitszeitkonten wurden nach unten gefahren, und es gab Kurzarbeit. In den Betrieben wurde alles getan, um die Krise zu bewältigen. Die Arbeitgeber schätzen das mit ihrer jetzigen Haltung überhaupt nicht wert – die Belegschaften sind stinksauer. Dazu kommt, dass sich die Auftragslage inzwischen wieder stark gebessert hat. Eine Umfrage unter Betriebsräten in der Metall- und Elektroindustrie hat ergeben, dass etwa 60 Prozent der Unternehmen in Baden-Württemberg im Moment Sonderschichten fahren, weil die Auftragslage so gut ist. Trotzdem wollen Sie den Leuten in den Geldbeutel greifen und ihnen weismachen, dass Sie damit Zukunft gestalten. Das ist Frühkapitalismus pur.

Suck: Zum Stichwort Wertschätzung: Die Betriebe haben die Beschäftigten in der Pandemie mitgenommen, Hygienekonzepte erstellt – die sicher nicht preiswert waren – und viel für den Gesundheitsschutz getan. Und sie haben weit mehr Beschäftigung gesichert, als angesichts des Einbruchs zu erwarten war. Auf der einen Seite ist das selbstverständlich, auf der anderen Seite ist unsere Branche ein Leuchtturm. Wir sollten Wertschätzung nicht nur über Geld definieren, sondern auch über Beschäftigungssicherung. Dazu müssen Themen auf den Tisch, die vor Jahrzehnten vereinbart wurden und nicht mehr zeitgemäß sind.

Sie meinen Sonderregelungen in Baden-Württemberg, über die nun eine Expertengruppe diskutiert?

Suck: Ja, es geht beispielsweise um Spätschichtzuschläge. Die zahlen wir schon zu Zeiten, an denen andere zu Mittag essen – also um zwölf Uhr.

Hahl: Sie gehen aber um 16 Uhr nach Hause, und die Kollegen sind in der Spätschicht bis 22 Uhr im Betrieb. Sie können gerne mal Schicht arbeiten, Herr Suck. Damit Sie wissen, wovon wir reden.

Suck: Leider gehe ich nicht um 16 Uhr nach Hause – genauso wenig wie Sie. Wir sprechen übrigens nicht davon, etwas komplett zu streichen. Es geht vielmehr um die Frage, ob Spätschichtzuschläge später einsetzen sollen.

Hahl: Inwieweit gestalten Sie damit Zukunft?

Suck: Indem wir Geld sparen, das wir künftig dringend brauchen. Vor uns steht der Digitalisierungsberg.

Hahl: Dafür können Sie den Beschäftigten aber nicht einfach irgendetwas wegnehmen. Das, was wir in der Vergangenheit gemeinsam vereinbart haben, wurde von den Belegschaften gezahlt – über eine geringere Lohnerhöhung. Zum Beispiel die 35-Stunden-Woche – die ist uns doch nicht geschenkt worden! Wenn Sie so weitermachen, waren die Warnstreiks nur der Anfang.

Kommen wir zu einem anderen Streitpunkt: Südwestmetall will, dass Krisen-Betriebe künftig automatisch vom Tarifvertrag abweichen können, wenn bestimmte Kennzahlen nicht stimmen.

Suck: Schon heute können wir über das sogenannte Pforzheimer Abkommen vom Flächentarifvertrag abweichen. Allerdings müssen wir jeden Einzelfall mit der IG Metall verhandeln. Das ist zwar meistens zielführend, aber extrem zeitaufwendig. Hier wollen wir schneller werden. Und ich frage mich, was für ein Problem die IG Metall damit hat. Schließlich sind die Betriebsräte in den Unternehmen trotzdem noch beteiligt und firm genug, um mit solchen Themen umzugehen.

Hahl: Das ärgert mich jetzt wirklich. Wir haben in Mannheim, wenn es notwendig war, mit dem Pforzheimer Abkommen immer gute Lösungen in den Unternehmen gefunden. Die Betriebsräte sind froh, wenn die IG Metall mit am Tisch sitzt. Und genauso kann es für Arbeitgeber sinnvoll sein, von Südwestmetall begleitet zu werden. Beide Tarifparteien kennen sich gut aus.

Das klingt alles nicht danach, als würden Sie sich bis Ostern einigen.

Hahl: Ich bin sehr skeptisch. Wenn die Arbeitgeber ihre Angriffe auf Tarifverträge aufrechterhalten, wird es schwierig. Die Belegschaften sind auf alle Fälle bereit, den Druck durch Streiks zu erhöhen.

Suck: Genauso entschlossen stehen die Mitglieder von Südwestmetall hinter unseren Forderungen.

Die Arbeitgeber warnen, dass immer mehr Betriebe aus dem Tarifverbund aussteigen, weil ihnen die Regelungen zu komplex werden …

Suck: Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich würde nicht hier sitzen, wenn ich vom Instrument Tarifvertrag nicht überzeugt wäre. Sozialpartnerschaft lebt aber davon, dass viele mitmachen. Wir haben in Baden-Württemberg seit dem Jahr 2000 rund 400 Mitgliedsunternehmen verloren. Begründung: Sie sind mit den Tarifverträgen unzufrieden und können sie sich oft auch nicht mehr leisten. Deshalb müssen wir uns fragen, wie wir das Regelwerk wieder attraktiver gestalten können. Die Unternehmen brauchen Luft zum Atmen, um die Transformation zu stemmen.

Hahl: Da kann ich für Mannheim sagen: Wer glaubt, einen Billigheimer zu bekommen, indem er aus dem Tarifgefüge austritt, wird eines Besseren belehrt. Dort gehen wir dann in den Häuserkampf. Ich finde es gefährlich, wie Südwestmetall die Tarifverträge schlechtredet. Sie gehören zu den Erfolgsgeheimnissen des Standorts Deutschland. Und wenn ein Unternehmen nicht wettbewerbsfähig oder profitabel genug ist, liegt das nicht an den Tarifregelungen. Oft stehen dahinter einfach Managementfehler.

Was ist Ihnen persönlich für den Tarifabschluss am wichtigsten?

Hahl: Dass wir Beschäftigung sichern, die Zukunft gerecht gestalten und Entgelte stabilisieren. Wir dürfen keine Corona-Generation zurücklassen. Was mir auch sehr am Herzen liegt: Dualstudierende sollen in den Geltungsbereich der Tarifverträge einbezogen werden. Damit bekommen sie wie die Auszubildenden in der Branche einen Anspruch auf Übernahme.

Suck: Auch für mich steht die Beschäftigungssicherung ganz oben. Wir wollen möglichst viele wettbewerbsfähige Arbeitsplätze in Deutschland halten. Ich wünsche mir einen Abschluss, der berücksichtigt, in welcher Lage sich viele Unternehmen durch die Pandemie befinden. Wir sprechen ja nicht darüber, dass es nie mehr Geld geben soll. Sondern darüber, dass es aktuell nicht mehr geben kann und die Lage 2022 hoffentlich wieder anders ist. Das Thema Ausbildung ist mir ganz wichtig: Ich mache mir auch Sorgen, dass wir eine Corona-Generation zurücklassen. Ich habe selbst drei Kinder und möchte, dass die später Arbeit haben. Aber dafür muss Ausbildung weiter attraktiv sein und nicht überreguliert.

Arnd Suck
- Der Jurist Arnd Suck (49) ist seit 2019 Geschäfts- führer der Bezirksgruppe Rhein-Neckar-Odenwald des  Arbeitgeberverbandes Südwestmetall. Die Bezirksgruppe sitzt in Mannheim.
- Seit 21 Jahren ist der gebürtige Weinheimer für den Metall-Arbeitgeberverband tätig.
- Suck ist verheiratet und hat drei Kinder.

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